Rhythmische Interventionen - Der Hörspielmacher Albrecht Kunze

Jochen Meißner
Theater Heute, 2 / 2005

Seine Stücke handeln von Tanz- und Truppenbewegungen, sein Personal nennt sich Sweethearts of Rhythm, Golfkrieg Girls & Boys, oder die Einzigen Zeugen und seine Hörspiele heißen "ich auf der Tremine" oder "die Idee der Strafe". Der Frankfurter Autor und Musiker Albrecht Kunze arbeitet an der Demarkationslinie von Krieg und Entertainment, von Datenstrukturen und Kriegsschauplätzen. Seit zehn Jahren macht er Hörspiele und Features, deren Dichte und Präzision ihresgleichen suchen. Kunze verfährt nach der Devise Heiner Müllers, nach der man das Publikum überfordern muss.
In seiner Trilogie "The Big Beat" (BR 1995), "Golfkrieg Girls & Boys" (BR 1997) und "wie wir den Krieg gewannen" (WDR 2003) untersucht Kunze die Transformationen des Krieges, die nach Carl Schmitt immer auch Raumrevolutionen sind, und bleibt dabei immer auf der Höhe der Entwicklung. Von klassischen zwischenstaatlichen Krieg über den Bürger- und Partisanenkrieg bis zu den so genannten "Neuen Kriegen", die in zerfallenden Staaten keinen begrenzten Raum mehr einnehmen und kein definiertes Ende mehr haben. Krieg und Nichtkrieg werden ununterscheidbar und gehen in einen Dauerzustand von Bedrohung über.
Mit eben dieser diffusen Bedrohung befasst sich das gerade urgesendete Stück "die Idee der Strafe" (HR 2005), das von einer Detonation handelt, die so ungeheuerlich ist, dass sie nur im Akustischen wahrnehmbar wird. Sie hinterlässt weder sichtbare Spuren der Zerstörung noch Hinweise auf ihre Urheber, und doch gibt es Bekennerschreiben und Menschen, die sich selbst in Brand setzen. Eine metaphysische Katastrophe, die Selbstmordattentäter gebiert.

Die inhaltlich verhandelten Diskurse finden im akustischen Material ihre direkte Entsprechung. Wobei die modernen Medien für Kunze nicht, wie es ein Bonmot von Friedrich Kittler besagt: Missbrauch von Heeresgerät darstellen, sondern Zeichen der Überschneidung und Koppelungen verschiedener Systeme sind. Und manchmal stehen sie auch für sich selbst, wie in dem Stück "suchen / ersetzen", das ausschließlich aus den Sounds von Betriebszuständen elektronischer Geräte besteht, insbesondere denen von Beobachtungs- und Kontrollmaschinen bei der Arbeit. Ein Stück, das im Jahr 2000 für die verdienstvolle Reihe "The Artists Corner" des Hessischen Rundfunks entstanden ist.
In den Textstücken stehen repetitiven elektronische Klängen eigene Songs oder gelegentlich bis zur Unkenntlichkeit verfremdete Coverversionen gegenüber. Dabei sieht sich Kunze ausdrücklich nicht als Remixer, denn die Herkunft des Materials spielt keine Rolle. Die Diskurse über Krieg und Musik sind miteinander verschaltet, erhellen sich wechselseitig und/oder brechen sich ironisch. So beispielsweise, wenn sich bei der Musikgruppe Die Einzigen Zeugen, die im Hörstück "wie wir den Krieg gewannen" die Truppenbetreuung übernehmen soll, der Verdacht einschleicht, ihre Musik würde mittels veränderter Datenstrukturen zur Übertragung geheimer Informationen missbraucht. Deswegen experimentieren sie mit Songs, die nur aus einer Note bestehen. Darüber hinaus stellen sie sich die Frage: Wie verhält sich Gesang zu Gewalt, also: das Flüchtige zum Besetzenden?
Eine Frage, die Albrecht Kunze wohl am spektakulärsten in "ich auf der Tretmine" (WDR 2001), diskutiert hat. Aus der Perspektive des Individuums trennt ein kurzer Klick Vergangenheit und Zukunft von einer nicht mehr endenden Gegenwart. Auf dem Nicht-Territorium eines Minenauslösers (ein Ort, dessen Sicherheit allein in der Schwerkraft besteht) bleibt nur die Freiheit der Bewegungslosigkeit, um die Detonation zu verhindern. Der Auslöser ist zugleich die kleinsträumige Möglichkeit von Sicherheit und ein Raum der verschwindet, sobald man ihn verlässt. Im gleichen Stück entlarvt eine verminte Tanzfläche, die ab einem bestimmten Grad von Ekstase von einem tanzenden Kollektiv zur Explosion gebracht wird, jedes Territorium zur Unsicherheitszone: Tanzfläche und Kriegsschauplatz ballen in einem terroristischen Akt der Auflösung in Eins.

Albrecht Kunzes radiophones Nachdenken über Räume bedient sich einer betont flachen Ästhetik. Statt Schlachtengemälde in 5.1-Sound zu inszenieren sind es die technisch bearbeiteten Stimmen von Karolina Sauer, Elke de Boer und Claudia Splitt, die als Figuren und Diskurslieferanten funktionieren. Eine Ästhetik, die später René Pollesch mit seiner Heidi-Hoh-Trilogie populär gemacht hat. Nicht umsonst ist Claudia Splitt, nebenbei Sängerin des Madonna Hip Hop Massakers, eine Heroine des Pollesch-Theaters geworden, auch wenn dort die Gefahren für die Stimmbänder exponentiell größer sind als bei Kunze.
Während in Polleschs Diskursgewittern seinen Hörern Trost und Entspannung nur in herzlich trivialen Popsongs gewährt, schreibt sich Kunze seinen kleinen Bedarf lieber selber. Unter dem Namen lamé gold hat er sein musikalisches Kriegsheimkehrerstück "The Homecoming Concert" veröffentlicht, das von ferne an Mauricio Kagels 10 Märsche, den Sieg zu verfehlen erinnert und zusammen mit Ekkehard Ehlers bildet er das Duo MÄRZ (Love Streams, Wir sind Hier).
Demnächst werden auch die Hörspiele auf seinem eigenen Label "landen auf wasser" erscheinen. Debütiert hat Albrecht Kunze nach seinem Studium der Theaterwissenschaften in München mit Musiken für das TAT, Frankfurt und die Theater- und Performancegruppe Showcase Beat Le Mot, deren neues Stück "Alarm Hamburg Shanghai" am 31.3.05 in Hamburg auf Kampnagel Premiere haben wird - mit Musik und Songs von Albrecht Kunze