Entlang Demarkationslinien: The Big Beat

Frank Olbert
FAZ, 1995-05-12

Der amerikanische Entertainer Bob Hope höchstselbst entdeckte Kim, Ronnie und Diedrich, als sie singend und summend Fallschirme für die Armee nähten, und, begeistert von ihren Stimmen, gab er den Schwestern kostenlose Tanz- und Gesangsstunden. Sweethearts of Rhythm nannte sich das Trio fortan, das Kriegsfronten zwischen Normandie, Neapel, Korea und Vietnam zu seinen Bühnen erwählte, und ihr Programm "The Big Beat".
In seinem gleichnamig Hörstück erzählt Albrecht Kunze sowohl die "Geschichte" dieser nach authentischen Vorbildern wie den Andrews Sisters modellierten Girlgroup, beinahe so meldodramatisch wie die Shangri-Las, zugleich aber ist es auch diese ihre Show selber - die Show "The Big Beat".

Zum Big Beat tragen in Kunzes gleichnamigem Radiostück nicht allein die Gesänge der Sweethearts of Rhythm bei, sondern: immer wieder mischen sich übersteuerte Elektrogitarren und polterndes Schlagwerk in dieses Hörspiel-Musical, das kriegerischen ebenso wie sexuellen Destruktionen nachspürt. Höchst eigenwillig führt Kunze vor, wie die Auftritte der Sweethearts und das tödliche Treiben ihrer soldatischen Zuhörerschaft in ein seltsam berührendes Spannungsverhältnis geraten:
Während über den Schützengräben die Geschosse hinwegfliegen, sorgen Kim, Ronnie und Diedrich entlang diverser Demarkationslinie scheinbar unbeirrt für gute Laune, und selbst der Tod der ältesten Schwester Patsie, die einem ungeklärten Flugzeugabsturz zum Opfer fiel, hält sie nicht auf - bei Gang durch die Zeiten, und über die umkämpften Grenzen hinweg. Mit einem bunten Zerstreuungsprogramm für die Truppen tingeln sie von Front zu Front, doch die Kriegsmaschine hat längst in ihre Darbietungen Einzug gehalten. He hit me, and it felt like a kiss, so besingen sie in einer ihrer Erfolgsnummern schmerzhaft-süße Schläge. Halt mich fest, Soldat!, sehnen sie sich in einem weiteren Lied nach einer starken Hand: Von Berichten über die Erfolgsstory der Sweethearts unterbrochen, collagiert Kunzes Hörspiel markante Sätze aus Soldatenliedern, die sich als eine beklemmende Mischung aus Gewaltphantasien und schwüler Romantik entpuppen.

Seine aggressive Kraft bezieht das Radiostück nicht nur aus derlei Textzitaten. Vor allem gelingt Kunzes Hörspiel eine genau kalkulierte Montage aus Sprache und Musik: Zu einem akustischen Mahlstrom vereinigen sich die Kompositionen, in die Pop-Elemente ebenso einfließen wie düster-filigrane Etüden für leise Instrumente wie einen akustischen Baß und eine Klarinette oder verrauschte Originaltöne aus den vierziger Jahren:
Vielschichtig vollzieht das Stück so die lärmende Ausgelassenheit nach, mit der die Sweethearts of Rhythm die Realität außerhalb ihrer Auftritte förmlich mit Tönen zurückdrängen wollen - doch in dunkel dahinwehenden Klängen dringt unausweichlich die Tristesse vor.

Vom Zweiten Weltkrieg über Vietnam bis hin zu den Gemetzeln unserer Tage treten die Sweethearts, diese wie es im Stück heißt: Engel der Angst, Königinnen der Gemetzel, Hüterinnen des Melodrams, so vor einer akustischen Kulisse auf, in die durch eine Verbindung historischer und zeitgenössischer Kontexte und Klänge die Epochen ineinanderfließen. Subtil gelingt Kunze aus der bizarren Perspektive seines Damentrios heraus ein akustisches Schlachtengemälde, das sich ebenso geschichtsträchtig wie aktuell präsentiert.