Vom Sentiment der Streicher

Stefan Raulf im Gespräch mit dem Frankfurter Musiker und Hörspiel-Autor Albrecht Kunze über Klang und bürgerliches Gefühl
Frankfurter Rundschau, 2001-11-19

Albrecht Kunzes Klangexperimente entstehen zum Großteil im Computer. Sie sind, in der Popmusik geerdet, mal der Clubmusik verpflichtet, mal sind es Radiostücke, wobei Grenzüberschreitungen beabsichtigt sind. Auch deshalb erreichten Kunzes vielschichtige Hörspiele wie "The Big Beat" (1995) oder "Golfkrieg Girls & Boys" (1997) besondere Aufmerksamkeit. Nun gibt es zwei neue Solo-Arbeiten, beide mit weichem, flächigen Sound, der auf Streicher-Samples basiert: "lamé gold" und "The Homecoming Concert". FR-Mitarbeiter Stefan Raulf sprach darüber mit Albrecht Kunze.

FR:
"The Homecoming Concert" ist ein instrumentales Stück, wird aber eingeleitet mit einen Text, in dem es unter anderem heißt: Was, wenn wir zurückkehren - zurück, aus den sichtbaren und unsichtbaren Gebieten? Was ist das für eine Rückkehr in was für ein Zuhause?
AK:
Dieses "Homecoming" ist ein geläufiger Begriff für das Heimkommen aus dem Krieg, ein Heinkommen an den Ort der bisherigen Sicherheit. Bei einer Rückkehr, egal woher, stellt sich die Frage, ob es dort, zuhause, wieder so sein kann wie es war, als man wegging, und: das ist ja sehr oft nicht so. Der sehnsuchtsvolle Gestus des "Homecoming Concert" erzählt davon, dass man dem hinterhertrauert. Die Sicherheit, oder, weniger optimistisch formuliert, das Gefühl einer Sicherheit muß neu geschaffen, muß neu errichtet und eingerichtet werden.
FR:
Warum arbeiten Sie mit String-Sounds, mit Aufnahmen von Streichinstrumenten, die Sie mit dem Instrumentarium des Computers und seinen plug-ins, den virtuellen Effektgeräten, musikalisch behandeln?
AK:
Eine der Besonderheiten von Streichinstrumente ist für mich, dass hier das harmonisch offenere monophone Spiel, also: die Abfolge einzelner Töne, eine größere Kraft, eine größere Eigenständigkeit besitzt als bei anderen Instrumenten. Außerdem ist der lang anhaltende, weil mit dem Bogen gestrichene Ton gut geeignet, um ihn mit plug-ins zu bearbeiten. Das lässt weitreichendere Eingriffe und größere gestalterische Möglichkeiten zu. Darüber hinaus interessiert mich die herausragende Befähigung des Streicherklanges, den Hörer (möglicherweise auch gegen seinen Willen) emotional zu besetzen. Und darüberhinaus: die große Geste - das Sentiment als Behauptung von Gefühlen: die Sehnsucht des "Homecoming Concerts", die dunkle Stimmung.
FR:
Das sind die Gefühle der bürgerlich-romantischen Musikrezeption. Sind Sie genau hinter diesem Effekt her, oder legen Sie es auf ein Spiel damit an, auf seine Brechung?
AK:
Zunächst einmal finde ich es wichtig, dass jeder, der diesen Effekt bei sich feststellt, sich diese Erdung seines musikalischen Empfindens im Bürgerlichen eingesteht. Mich interessieren weniger die Wurzeln in der klassischen Musik, sondern wie diese, und wie ihre Mittel, bis heute emotional so funktionsfähig sind und sein können. Insbesondere auch in der Filmmusik. Die Streichersounds, mit denen ich gearbeitet habe, stammen ja aus einem "großen" Hollywood-Film der letzten Jahre. So mag die Ahnung des sogenannt Filmischen, was in diesem Fall eine spezielle und irgendwie vertraute emotionale Wirkung meint, in der Homecoming-Musik noch zu hören und spüren sein, ihr tatsächlicher Ursprung spielt aber keine Rolle mehr.
FR:
Wie unterscheiden Sie den Begriff des Sentiments von der Sentimentalität?
AK:
Sentimental ist für mich das, was ungebrochen auf den Effekt, unwidersprochen auf den Affekt zielt. Sentiment ist das Arbeiten mit der Distanz zur Sentimentalität. Mir geht es um die Möglichkeit, oder: um die Frage nach der Möglichkeit, sich der Sentimentalität, dem Verlangen nach Sentimentalität "kontrolliert" hinzugeben - nachdem und indem man sich die Mittel der Sentimentalität und ihre Wirkungsweise bewußt gemacht hat. Um die Frage: was passiert, wenn ich mich Sentimentalität bewußt hingebe. Was ein Widerspruch ist, und deswegen: eine Spannung besitzt, die mich interessiert.
Natürlich kann man einwenden, dass einem die Aufforderung zu einer derartigen (Eigen)Kontrolle, oder: Selbst- und Material-Vergewisserung nicht unbedingt oder ausgesprochen aus der Musik entgegenspringt, andererseits: bedeutet für mich das Arbeiten mit Loops, also: mit der Wiederholung, immer auch ein Befragen des Wiederholten, ein Befragen des Materials selbst. Was ist das, was ich da immer und immer wieder höre?
FR:
Sie haben auch in den Tagen vor der Ausstrahlung noch an "The Homecoming Concert" gearbeitet. Nun legt der Titel auch die Assoziation an Kriegsheimkehrer nahe. Haben sich die aktuellen Ereignisse in Afghanistan darauf ausgewirkt?
AK:
Nein, Material und Titel samt der Assoziation "Kriegsheimkehrer" gab es schon vorher, auch vor dem 11. September. Aber natürlich könnte man sagen: dass es ein nicht uninteressanter Zeitpunkt für eine Ausstrahlung ist. Jetzt, in der fünften Kriegswoche, wo die Zweifel lauter werden, und die Fragen nach der "Richtigkeit" der Meldungen. Nach den Opferzahlen und nach der Sicherheit/Unsicherheit der dort Kämpfenden. Es ist eine notwendige Unzeitgemäßheit, jetzt daran zu denken, was und wie es ist, wenn es vorbei ist.